Als ich in der Erdinger Arena in Oberstdorf eintreffe, herrscht überall geschäftiges Treiben. Angesichts der Schattenbergschanze, der höchsten der fünf Schanzen, die sich im Stadion befinden, steigt mein Puls merklich. Nie und nimmer würde ich … da reißt mich Michael Neumayer aus meinen Gedanken. Der sympathische ehemalige deutsche Skispringer, der unter anderem bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver Mannschaftssilber geholt hat, ist seit eineinhalb Jahren technischer Leiter des Skisprung-Stadions in Oberstdorf und auch bei der FIS tätig.
Die Schattenbergschanze ist seit 1953 Austragungsort des Eröffnungsspringens der Vierschanzentournee. In Springerkreisen ist diese Tournee hoch angesehen und die Schanze in Oberstdorf ist bei allen äußerst beliebt. „Sie ist einfach schön zu springen, ohne Tücken, einfach ein Genuss“, weiß Michael Neumayer. Und er sorgt dafür, dass es auch 2017 so sein wird, mit Schneemaschinen, Bewässerung, Lifttechnik und nötigen Reparaturen.
Abseits aller Technik interessiert es mich brennend, wie man eigentlich auf die Idee kommt, die Skisprungschanze in Oberstdorf hinunterzusausen. „Man wächst da so hinein“, meint Michael unaufgeregt. „Die Kinder fangen so mit acht bis zehn Jahren an, ich war mit 13 Jahren spät dran, denn ich bin zuvor Alpinrennen gefahren.“ Und wie hat er sich dann auf die Sprünge vorbereitet? „Da läuft ein Automatismus, den man sich im Training angeeignet hat. Die Besten schaffen es, während das Programm abläuft, kleinste Korrekturen vorzunehmen“, klärt mich Michael auf. Was ihn besonders fasziniert hat, möchte ich noch wissen. Michael lacht und sagt: „Es ist einfach toll, der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen, zu fliegen wie ein Vogel. Und es macht Spaß, etwas zu machen, was nicht jeder kann.“
Jetzt stößt auch Florian Stern zu uns, der gerade die Begehung des Stadions mit einem TV-Team hinter sich hat. „Bei uns ist das ganze Jahr etwas los, aber jetzt geht’s in die heiße Phase“, meint der Leiter des Organisationskomitees mit einem fröhlichen Lächeln. Nach einer kurzen Pause im Frühjahr stehen im Juni schon die ersten Sitzungen mit einer Rückschau auf die letzte Vierschanzentournee und dem Ausblick auf die nächste Auftaktveranstaltung in Oberstdorf an.
Im September starten TV-Begehungen, Besprechungen mit Sponsoring-Agenturen und die Ausgabe der Eintrittskarten. „Das Skisprungstadion ist ein Stück Infrastruktur, es ist in der Natur, aber mit wilder Natur hat es nichts zu tun“, erzählt mir Florian, bevor er ein paar interessante Infos verrät.
Seit der ersten Vierschanzentournee hat sich der Betrieb Jahr für Jahr professionalisiert. Heute ist die Tournee ein sportliches Prämiumprodukt, bei dem nichts dem Zufall überlassen wird. „Die FIS hat ihre Fragen und Kontrollmechanismen und wir garantieren ein Sportereignis von gleichbleibend hoher Qualität“, sagt Florian. Die Logistik ist enorm, von der Unterkunft für Sportler über die Sicherheit bis zur Koordination der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer. „Es kommen an den beiden Veranstaltungstagen 35.000 Besucher, die Bahn fährt mit zusätzlichen Waggons. Die Fans müssen anreisen, parken, zum Stadion kommen. Wegbegleitung und Fluchtwege werden behördlich überprüft. Mein Tipp: Bitte keine Taschen und Rucksäcke mitnehmen und, wenn möglich, die öffentlichen Verkehrsmittel nützen“, so der Veranstaltungsleiter.
Nicht nur, dass das Stadion am Wettkampftag mit 25.000 Besuchern ausverkauft ist, auch die Qualifikation am Vortag ist mit rund 12.000 Fans bestens besucht. 800 Mitwirkende und Pressemitarbeiter müssen während der beiden Veranstaltungstage untergebracht werden. Von den 75 Skispringern, die sich der Qualifikation stellen, starten am Wettkampftag noch 50. Nach der ersten Runde geht es für 30 Spitzensportler ins Finale. „Und dann packen die gleich zusammen und weiter geht’s zum nächsten Tourneeort“, erzählt Florian. Die Besucher können nach der Siegerehrung im Stadion im Ort feiern. Florian empfiehlt die Bars im Nordic Park und die Hörbar im Zentrum von Oberstdorf. Zuletzt sein Tipp für Familien: Kinder bis 7 Jahre besuchen das Springen kostenlos, Kinder von 8-12 Jahre zahlen nur die Hälfte.
Die Erdinger Arena liegt direkt an der Nebelhorn-Talabfahrt. So werfen Skifahrer quasi im Vorbeifahren Blicke auf die beeindruckende Anlage mit den fünf Schanzen. Bei einer Backstagetour können Interessierte Schanzenanlage und Sportlerunterkünfte zu bestimmten Zeiten besuchen. Einfach telefonisch anmelden unter +49 0322 8090 360.
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Michael Neumayer schmunzelt ein bisschen, als ich ihn frage, ob die Vierschanzentournee so etwas wie eine Generalprobe für die Skiflug-WM sei. „Skispringen und Skifliegen sind zwei Paar Schuhe“, meint er. „Aus den Skispringern kristallisieren sich besondere Typen heraus, die noch mehr Nervenkitzel, noch mehr Risiko wollen, die lieben das Skifliegen.“ Von der Heini-Klopfer-Skiflugschanze, die nicht im Stadion, sondern im Stillachtal bei Oberstdorf steht, segeln die Athleten rund 100 Meter weiter als beim Skispringen. Der „Finger Gottes“, wie die spektakuläre Flugschanze genannt wird, ermöglicht Flüge jenseits der 200-Meter-Marke, die Hill Size liegt bei über 185 Metern. Wer sich im Januar dort hinunterwagt, darf mit zahlreichen enthusiastischen Fans rechnen.
In Erinnerung an die Fernsehtage mit meinem Großvater, der, was die Sprungleistung der Sportler bei der Vierschanzentournee betraf, stets Wetten mit sich selbst abschloss, trete ich meinen Heimweg an. Ein Termin steht schon fix in meinem Kalender: der 30. Dezember. Möge der Beste gewinnen!
66. Vierschanzentournee
FIS Weltmeisterschaft Skifliegen