Im Garten von Kurt Müller summt und brummt es. Die Holzhütte, die aus der Ferne aussieht wie ein Gartenschuppen, entpuppt sich beim Näherkommen als Bienenhaus, in dem 18 Völker leben. Es ist Hochsommer, überall wippen die Blumen und die pelzigen Insekten machen ihrem sprichwörtlichen Fleiß alle Ehre: Sie fliegen so emsig ein und aus, dass ihr hagerer, stets freundlicher Besitzer darauf achten muss, dass nichts die Einfluglöcher zu ihren Stöcken blockiert.
Seit über 40 Jahren hält Kurt Müller Bienen, lange Jahre war er Vorsitzender des über vierzig Mitglieder fassenden Vereins der Kleinwalsertaler und Oberstdorfer Imker. Vor zwei Jahren hat er zwar seine Ämter abgegeben, nicht aber seine geliebten Bienen. Doch selbst einen so ruhigen und erfahrenen Mann wie ihn packt angesichts dessen, was sich diesen Sommer abgespielt hat, fast so etwas wie Begeisterung: Über 20 Kilo Honig pro Stock konnte er ernten, fünf bis acht Kilo mehr als üblich, und noch dazu von herausragender Qualität: Der Wassergehalt im Honig, der über die Geschmacksintensität dieses flüssigen Goldes entscheidet, liegt nicht wie sonst bei etwa 18, sondern nur bei 14,7 Prozent. „Das ist ein Sommer wie ein Lottogewinn“, freut er sich, „so etwas habe ich seit 1994 nicht mehr erlebt.“
Zu verdanken ist die Sensationsernte vor allem dem ungewöhnlich günstigen, anhaltend milden Wetter. Denn normalerweise macht das Klima den Bienen und damit auch den Imkern im Kleinwalsertal das Leben alles andere als einfach.
In flacheren Gefilden erwachen Bienen im März aus ihrer Winterruhe und brechen zu ersten „Reinigungsflügen“ auf, sobald das Thermometer über 12 Grad klettert. Wenn dann im April die Natur zu blühen beginnt, explodiert auch das Leben im Bienenstock geradezu: Die Königin legt bis zu 1500 Eier am Tag, das Volk vermehrt sich rasant und beginnt für die Nachkommen neue Waben zu bauen. Auch Drohnen werden im Stock gezüchtet, die später Königinnen begatten sollen. Sobald das Anwachsen des Volks seinen Höhepunkt erreicht hat, pflanzt sich das Bienenvolk, sofern es stark und gesund ist, fort: Es züchtet eine neue Königin, und die alte Königin verlässt mit etwa der Hälfte der Bienen den Stock. Die neue, vitalere Königin lässt sich auf ihrem Hochzeitsflug von mehreren Drohnen befruchten, legt Eier und sichert so das Überleben des Volkes.
Ab diesem Zeitpunkt, etwa im Juli, beginnen die Bienen sich bereits auf die kalte Jahreszeit einzustellen. Die Königin legt weniger Eier, dadurch werden im Stock Wabenzellen frei, in die die Bienen nun Honig als Vorrat für den Winter füllen. Je weiter der Herbst fortschreitet, desto ruhiger wird es im Stock. Statt kurzlebiger Arbeitsbienen schlüpfen nun Winterbienen, die vier bis sechs Monate lang leben. Sie sichern das Überleben der Königin, in dem sie um sie herum eine Traube bilden und die Königin und sich selbst wärmen.
Im Kleinwalsertal ist der Jahreslauf der Bienen um Einiges komprimierter: „Wir haben hier extrem lange Kälteperioden. Bis in den März hinein fällt Schnee, wenn er vollständig getaut ist, haben wir oft schon Mitte Mai. Erst danach beginnt es zu blühen und die Bienen haben eine Chance auf Futter“, erklärt Kurt Müller. Nun heißt es für einen Kleinwalsertaler Bien – so nennen Imker ein Bienenvolk, weil es zusammenspielt, als wäre es ein einziger Organismus – den Turbo einzuschalten. Arbeitsbienen heranziehen, Pollen und Nektar sammeln, den neuen Wintervorrat anlegen: all dies muss im Eiltempo geschehen. Bereits Mitte August, wenn an den Gumpen und im Freibad noch ausgelassene Kinder plantschen, richten sich die Bienen endgültig für den Winter ein. Spätestens im Oktober stellen sie ihren „Flugbetrieb“ vollkommen ein.
„Da unsere Bienen alle der Rasse Carnica angehören, sind sie von Natur aus auf solche Wetterbedingungen eingestellt“, erklärt Müller. Die Rasse ist im Alpenraum beheimatet und kommt mit der extremeren klimatischen Situation gut zurecht. Das war aber nicht der einzige Grund, warum sich die Imker im Tal bereits in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg entschieden, einheitlich auf Carnica zu setzen: „Sie ist eine ausgesprochen sanftmütige, nicht besonders stechfreudige Biene“, so Müller weiter. „Das ist nicht nur für den Imker wichtig. In einem Tal, in dem der Fremdenverkehr eine große Rolle spielt, wären aggressive Bienen ziemlich fatal.“
Trotz der Friedfertigkeit der Carnica-Bienen qualmt bei Achim Schneider auf der anderen Seite der Breitach der Smoker. Schneider ist der größte Imker in ganz Vorarlberg und hat, aller damit verbundenen Risiken zum Trotz, sein Hobby zum Beruf gemacht. Je nach Verlauf des Sommers hat er seine Völker an neun bis elf festen Standorten stehen, die zwischen knapp 1100 und 1650 Metern hoch gelegen sind.
Regelmäßig fährt er alle Standplätze ab und sieht nach dem Rechten. Im Moment kontrolliert er gerade die Bienenstöcke – „Beuten“ in der Fachsprache – in der Nähe seines Wohnhauses in der Schwende. Doch auf das Öffnen eines Bienenstocks reagieren selbst die sanftmütigen Carnica-Bienen bisweilen mit Stichen, weshalb Imker bei solchen Gelegenheiten den Smoker entzünden. Dessen würzig-brandig duftender Rauch macht die Bienen allerdings nicht, wie man vermuten könnte, in irgendeiner Form benebelt. „Der Rauch suggeriert den Bienen einen Waldbrand und setzt instinktive Handlungen in Gang, die noch von den wilden, in Wäldern lebenden Vorfahren der Hausbienen herrühren“, erklärt Achim Schneider. „Wenn sie denken, es brennt, rüsten sie sich zur Flucht und schlagen sich die Bäuche mit Honig voll. Dadurch werden sie träger und stechen nicht so schnell.“
Abgesehen vom Rauch aber hat die Behausung von Imker-Bienen wenig mit jenen Baumhöhlen gemein, in denen wilde Bienen einst ihre Waben bauten. Bei Achim Schneider ebenso wie bei den meisten anderen Imkern lebt jedes Bienenvolk in einer sogenannten Magazinbeute, einem Kasten mit Deckel, in den rechteckige Rahmen mit jeweils einer Wachsplatte eingehängt sind. Auf diesen Wachsplatten bauen die Bienen die Waben, in die sie ihre Brut ablegen oder Honig füllen. Diesmal geht der Kontrollgang ruhig von statten. Die Bienen sind friedlich, obwohl bei jedem einzelnen Stock der Deckel gehoben wird. Schneider, der sich nur in seltenen Fällen in Imker-Kluft hüllt, kommt ohne einen einzigen Stich davon.
Zügig geht er zurück zu seinem Haus, und hinauf über den kleinen Laden. Dort, im ersten Stock, hat sich Achim Schneider seine Produktionsstätte eingerichtet: Hier schleudert und lagert er seinen Honig und verarbeitet sein Wachs. Der Großteil der diesjährigen Honigernte ist bereits abgefüllt, doch immer noch warten Rahmen mit gefüllten Waben auf ihre Entleerung. Vieles macht Schneider, trotz der vergleichsweise großen Mengen an Honig, die er produziert, komplett per Hand. Das „Entdeckeln“ zum Beispiel, bei dem die Wachsdeckel, mit denen die Bienen die gefüllten Waben versiegelt haben, mit einer Art Gabel abgehoben werden – eine Prozedur, die gleichermaßen Kraft und Geschick erfordert. „Die Maschinen, die es gäbe, rechnen sich für meine Honigmengen nicht“, hat Schneider festgestellt. Nach dem Entdeckeln werden die Rahmen senkrecht in die runde Edelstahl-Schleuder gehängt. Sobald diese sich auf Hochgeschwindigkeit dreht, lässt sich unten ein Hahn öffnen und der schimmernde, bernsteinfarbene Honig läuft in den bereitgestellten Eimer.
Wenn einen nichts mehr drinnen hält, das Verlangen nach Bewegung an frischer Bergluft übermächtig wird und der Duft nach Frühling ungeahnte Sehnsüchte weckt – dann ist es an der Zeit, den Frühling zu umarmen!
Aus den leer geschleuderten Wachswaben werden bei Achim Schneider nicht nur Kerzen. Er betreibt, was Imker einen „geschlossenen Wachskreislauf“ nennen: Er säubert die Waben, schmilzt sie ein und zieht daraus Platten mit eingestanztem Wabenmuster: Sie werden wieder in die Rahmen der Beuten eingespannt und dienen seinen Bienen erneut als „Baugrundlage“. Die dazu nötige Maschine ist allerdings nur für einen Imker in der Größenordnung Schneiders rentabel, nicht für Hobbyimker mit wenigen Völkern. Sie können aber, auch diesen Service bietet Schneider an, ihr Wachs bei ihm zu neuen Mittelwänden verarbeiten lassen.
Mangels nahe gelegener Stadt gehören zu seinen Kunden vor allem andere Imker vom Land. Über den neuen Trend, dass sich immer mehr Großstädter mit Bienenzucht beschäftigen, könnte Schneider – „Imker gehören aufs Land und nicht in die Stadt“ – eigentlich nur den Kopf schütteln.
Eigentlich. Denn allein die Tatsache, dass Städte trotz zugebauter Flächen und abgasverhangener Luft als bienenfreundliche Umgebung gelten, macht deutlich, wie gefährdet Bienen inzwischen sind. Gegenden wie das Kleinwalsertal, mit extensiv genutzten Weideflächen und einem vielfältigen Blütenangebot sind längst einsame Oasen geworden. Wo großflächig Landwirtschaft betrieben wird, haben Bienen aufgrund der intensiven Anbaumethoden, dem Trend zu Monokulturen und auch dem Einsatz chemischer Spritzmittel, bis Herbst genügend Futter zu finden. Die Situation ist so dramatisch, dass vielerorts tatsächlich die Städte mit ihren vielfältigen Blüten in Privatgärten, Parkanlagen und Balkonkaästen für die Immen das bessere Pflaster sind. Hinzu kommt ein drastischer Rückgang der Landimker. Viele Bauern, bei denen die Bienenzucht früher en passant mitlief, haben die Imkerei längst aufgegeben. Wenigstens in den Städten fühlten sich, im Zuge des Selbstversorger-Trends, zuletzt wieder mehr junge Leute dazu animiert, sich Bienenvölker zuzulegen.
Idealisten aber sind nicht nur in urbanen Gegenden zu finden. Auch Herta Fritz, der jüngste Zugang bei den Kleinwalsertaler Imkern, ließ sich vor allem von Naturschutz-Gedanken leiten, als sie dem Drängen des örtlichen Imkerverbands nachgab und ein Bienenvolk übernahm – und das, obwohl sie gegen Bienengift allergisch ist und jeder Stich eine akute Gefährdung darstellt. Die Imkermontur mit weißer, fester Jacke, Handschuhen und Hut mit Schleier ist bei ihr deshalb absolute Pflicht, wann immer sie zu ihren mittlerweile zwei Völkern geht. Diese „logieren“ auf einer Terrasse ihres direkt an der Riezlerner Breitachbrücke gelegenen Buchhaltungsbüros.
„Natürlich esse ich auch sehr gerne Honig“, sagt sie, wenn sie über ihre Motivation nachdenkt. „Aber im Vordergrund steht für mich die Natur, die kaputt geht, wenn es nicht mehr genug Bienen gibt.“ Die Abnahme der Bienen hat viele Gründe – angefangen bei der vor dreißig Jahren eingeschleppten Varroa-Milbe, die trotz redlicher Bekämpfungsbemühungen immer noch ganze Völker ausrotten kann, fortgesetzt bei der sich verändernden Landwirtschaft, und aufgehört bei der im Sinkflug begriffenen Zahl an Imkern. Die Zahlen sind inzwischen so alarmierend, dass es der drastische Schwund an Bienen und Insekten mehrfach bis in die Hauptnachrichten geschafft hat. Für Deutschland gerechnet, kann der Gesamtbestand an Bienen gerade einmal 20 Prozent des Honigbedarfs decken, auch genügt ihre Zahl nur noch, um 60 Prozent der Landwirtschaftlichen Flächen zu bestäuben. Dabei bringt der Rückgang der Bienen tatsächlich massive Ernteeinbußen mit sich: Ohne ihre Bestäubungsleistung würde zwar immer noch etwas wachsen, aber es gäbe ungefähr 40 Prozent weniger Äpfel und Kirschen, 12 Prozent weniger Birnen und auch 5 Prozent weniger Karotten. Vom ganzen Ökosystem, das auf die fleißigen Hautflügler angewiesen ist, ganz zu schweigen.
Für Österreich sieht die Situation, speziell auf Bienen und Imker bezogen, zwar besser aus, trotzdem machen solche Statistiken deutlich, wie wichtig engagierte Bienenfreunde und landschaftliche „Bienenoasen“ wie das Kleinwalsertal sind. Bleibt zu hoffen, dass die Strahlkraft solcher Regionen ausreicht, um auch andernorts Nachahmer zu motivieren.