Die beiden tollen ausgelassen um das Bergheim Moser oberhalb von Mittelberg, der Clemens’ Familie gehört. Clemens ist das Herrchen der 6-jährigen Eny, einer Belgischen Schäferhundeart namens Malinois. Sie schaut auf zu dem etwas erfahreneren Cisco. Der Australian Sheperd hat eine weiche, wuschelige Mähne und einen absolut entwaffnenden Blick: das linke Auge strahlt hellblau, das rechte ist samtig braun. Kein Wunder, dass ihm Eny etwas verfallen ist. „Er ist ihr großes Vorbild“, lacht Clemens. „Er hat ein ungemeines Feingefühl und holt sie immer wieder runter, wenn sie aufdreht. Und wenn er das Bein hebt, dann macht sie das als Mädchen schon auch einmal.“ Ansonsten folgt sie aber nur einem: dem 31-jährigen Clemens Moser.
Clemens ist mit Lawinenspürhunden aufgewachsen. „Wir hatten einen Bernhardiner, der mich im Maxi Cosi rumgetragen hat. Mein Vater hat mich vor die Tür gestellt und er hat mich dann dem wandernden Schatten hinterhergetragen. Außer der Familie durfte mir keiner nah kommen.“ Die besonderen Fähigkeiten von Hunden, ihre Intelligenz und ihr Gespür kennt er also schon von klein auf - genauso wie den Einsatz für die Gemeinschaft, der bei den Mosers in der Familie liegt. Auch Clemens Vater war bei der Feuerwehr und der Bergrettung. „Ich kam mit 15 Jahren zur Bergrettung und die Hundeführer waren für mich das Höchste. Wenn sie etwas gesagt haben, bin ich regelrecht in Ehrfurcht erstarrt.“ Einer von ihnen war Christian Heim, das Herrchen von Cisco. Inzwischen bilden die beiden das Hundeführer-Team im Kleinwalsertal.
Bei aller hochmodernen Technologie, beweist Mutter Natur mal wieder ihre Überlegenheit. Der 60-jährige Christian versucht den ausgeprägten Geruchssinn der Hunde vereinfacht in Zahlen zu fassen: „Ein Schäferhund hat um die 220 Millionen Riechzellen – wir Menschen gerade einmal 5 Millionen. Sie können räumlich riechen, ihr Geruchssinn ist um das 10-fache ausgeprägter und sie ‚schmecken’ Gerüche über den Gaumen.“ Das feinste Näschen hat jedoch der Eisbär, ergänzt Clemens und grinst, „aber von dem wollen wir nicht wirklich gefunden werden.“
Doch damit die Lawinenspürhunde Verschüttete im Rettungseinsatz schnell orten und anzeigen können, bedarf es vieler Parameter. Weht der Wind ungünstig oder liegt das Opfer unter metertiefen Schneemassen begraben, ist auch der Hund hilflos. Die Faktoren, die man durch die Rettungshunde-Ausbildung beeinflussen kann, dürfen hingegen im Ernstfall keine Rolle mehr spielen. „Der Hund muss seine Aufgabe genau kennen und sie unbedingt erfüllen wollen. Er darf sich von nichts ablenken lassen, muss stressresistent sein, fit und fokussiert“, erklärt Christian.
Und das schafft man wie? Mit einer großen Leckerlitüte? Christian lacht und schüttelt den Kopf: „Nein“, sagt er und krault Cisco hinter den Ohren, „Früher war das tatsächlich noch weiter verbreitet. Aber wir arbeiten seit einigen Jahren mit einem der renommiertesten Hundetrainer zusammen, dem Schweizer Hans Schlegel. Dessen Ansatz bewegt sich weg von der Futterbelohnung.“ Clemens erläutert: „Die Belohnung ist die Bestätigung vom Hundeführer und nicht der Leckerbissen.“
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Beim Aufbruch zur Demonstrationsübung zeigt sich die besondere Beziehung zwischen Hunden und Herrchen. Eny packt ihren Lieblingsball. Clemens flüstert fast schon unmerklich: „Den Ball lassen wir da“. Sofort lässt sie ihn fallen. Kein Zögern, kein Ignorieren, keine zweite Aufforderung. Darauf angesprochen meint Clemens: „Die Unterordnung ist ein ganz zentrales Element. Du musst klare Ansagen machen und stets konsequent sein.“ Und wann beginnt man mit der Schulung der Rettungshunde? „Eigentlich sofort“, sagt Christian. „Tatsächlich direkt mit dem Welpen. Man gewöhnt ihn an Situationen, beobachtet ihn, fühlt den Charakter und sieht, was er will, was er gut kann und wo man ihm deutliche Grenzen stecken muss. Du musst dich voll und ganz auf den Hund einlassen. Es ist durchaus Theorie dabei, aber vor allem geht es um gesunden Menschenverstand, um Tier- und Bauchgefühl.“
Beim Lawinentraining folgen Cisco und Eny auf kleinste Bewegungen. Ihre Augen sind stets aufmerksam, die Hundeführer ruhig und fokussiert. Die Körperhaltung ist wichtig, jede Geste, jedes Wort – von denen überraschend wenig fallen. „Man darf den Hund nicht zutexten“, erklärt Clemens, „und man gibt ihm Raum, den Befehl auch bewusst aufzunehmen.“ Sie machen vor jeder Anweisung eine Pause von 5 Sekunden. Das Training, die Prüfungen, die Fortbildungen und Treffen mit den Vorarlberger Kollegen – das Hundeführer-Dasein ist intensiv und zeitaufwendig. Und es ist ein Ehrenamt. Christian ist in Frühpension, aber Clemens steckt als Applikationsingenieur in der Autoindustrie mitten im Berufsleben. Doch er winkt ab: „Ich habe sowieso so viele Überstunden“. Nicht nur bei einem solchen Satz merkt man, mit welcher Überzeugung und Leidenschaft die beiden das machen. Schließlich müssen auch sie fit sein, körperlich wie mental. Sie müssen unter schwersten Bedingungen ihr fachliches Einschätzungsvermögen als Bergretter abrufen und gleichzeitig die Hunde führen.
Wenn man Clemens und Christian auf Anhieb einen Charakterzug assistieren kann, dann Bescheidenheit. Sie sprechen ungern über sich. Dann versucht man es eben über ihre Gefährten. Immerhin heißt es doch „Wie der Herr, so’s G’scherr.“ Also Christian: Wie ist der Cisco so? „Absolut friedfertig und extrem arbeitswillig.“ Ja, das passt auch zum Herrchen. Als er dann weiter meint: „Er ist auch ein totaler Macho – und gleichzeitig ein Kampfschmuser vor dem Herrn“, weiß man nicht, ob man das so auf Christian übertragen sollte. Gut, dass Clemens prompt einwirft: „Sie sind beide absolute Workaholics und voll auf Kuschelkurs.“ Eines ist klar: Hier haben sich Hund und Herrchen gesucht und gefunden – und bei diesem Gespann kann man auch davon ausgehen, dass im Rettungseinsatz Vermisste gesucht und gefunden werden.
Text: Sissi Pärsch
Bilder: Frank Drechsel