Aber ich sollte die Geschichte wohl von Anfang an erzählen. Vielleicht ganz von Anfang an. Mit ca. drei Jahren wurde unsere Tochter von einem Hund, der frei in der Straße spazieren war, vor Freude umgerannt und auf den Boden gedrückt. Gott sei Dank ist überhaupt nichts passiert - für ein kleines Mädchen, das bis dahin keinerlei Scheu vor Hunden hatte, aber ein einschneidendes Erlebnis.
Oft haben Hundebesitzer danach zu ihr gesagt: „du musst keine Angst haben, der tut nichts, er will nur spielen!“ Aber das hat Emma viele Jahre nicht mehr geglaubt und einen gesunden Respekt vor Hunden entwickelt. In solchen Situationen hat sie sich gerne hinter mir oder meiner Frau versteckt, um die Hunde mit ausreichend Abstand zu beobachten. Viele konnten ihre Angst nicht verstehen
Umso erstaunter war ich, als Emma ganz gebannt zuhörte, als ich einem Bekannten von den Husky-Workshops am Hörnlepass erzählt habe.
Seit mehreren Jahren bieten dort oben, etwas abgelegen, eingehüllt in die verschneite Winterlandschaft, zwei Musher (Lenker eines Hundeschlittengespanns) Workshops mit Huskys an.
Die zwei sind Werner und Claudia. Werner ist eigentlich Sanitäter, aber seine freie Zeit verbringt er schon sehr lange mit seinen Huskys. Claudia, seine Lebensgefährtin, unterstützt ihn dabei. Ich würde sogar sagen, Claudia ist die Husky-Mutter.
Nach dem Gespräch mit dem Bekannten kommt Emma zu mir und fragt mich, ob wir nicht auch einmal zu den Huskys gehen könnten. Ich bin etwas verwundert, denn damit habe ich nun so gar nicht gerechnet. Aber ich bin stolz, dass dieser Vorschlag von ihr kommt und ich frage sie, ob sie keine Angst vor den Huskys hat. Sie erzählt mir, dass sie vor ein paar Tagen eine Reportage über Schlittenhunde gesehen habe und die ganz friedlich seien. Ja dann, ab an den Hörnlepass!
Als wir ein paar Tage später gegen 10.00 Uhr am Hörnlepass eintreffen, sehen wir schon das Husky Camp am Waldrand. Romantisch sieht es aus. Strohballen mit Rentierfellen, in der Mitte ein Lagerfeuer auf dem ein Topf köchelt.
Im Hintergrund liegen die Huskys. Ein paar von ihnen heulen.
Es ist sehr beeindruckend, als wir uns dem Camp nähern.
Die Hunde schauen uns an - mit ihren faszinierenden Augen. Doch irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin nur Nebensache. Emma ist schon in Augenkontakt mit ihnen.
Claudia kommt auf uns zu und begrüßt uns freundlich. Sofort nimmt sie Emma an der Hand und geht mit ihr zu den Hunden. Ich will gerade noch sagen, dass Emma wahrscheinlich etwas Angst haben könnte, aber schon steht Emma bei Nanook, der sie freudig begrüßt und abschleckt. Claudia zeigt ihr, wie sie die Hunde streicheln soll und dass sie zu allen Hunden gehen kann. Ich traue meinen Augen nicht.
Emma hat keinerlei Berührungsängste und geht von einem Hund zum Nächsten, um alle zu begrüßen. Akima hört sogar kurz auf zu heulen und genießt die Streicheleinheiten.
Jetzt kommen auch Werner und die anderen Teilnehmer. Gemeinsam setzen wir uns ans Lagerfeuer und bei warmen Tee erzählt uns Werner, was wir am ersten Tag des Workshops lernen werden. Er will uns heute sogar noch so weit bringen, dass wir mit den Hunden auf Tour gehen können. Na, da bin ich ja mal gespannt.
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Zuerst der Schlitten. Die Erklärung ist simpel: wichtig ist das Bremsen und Lenken. Und das üben wir jetzt erst einmal ohne Hunde.
An einem kleinen Hügel starten wir die ersten Fahrten. Geradeaus ist gar nicht so schwer, aber eine Kurve zu fahren, das Gewicht richtig zu verlagern und jeden Moment bremsbereit zu sein, ist dann doch eine Herausforderung. Gerade für Männer, die ja eigentlich nur eine Sache zu einem Zeitpunkt tun können, ist dies eine multitaskische Meisterleistung. Erst ist das junge Pärchen aus Deutschland dran. Sie macht es sehr gut, der Mann hat etwas Probleme beim Lenken und fährt direkt von der präparierten Piste in den Tiefschnee. Emma ist ebenfalls voll motiviert und fährt als Dritte den Schlitten den Hügel hinunter.
Und ich bin schon wieder erstaunt.
Werner ruft, „Emma nach links und dann bremsen“ – und Emma macht es genau so! Ich stelle mich bei meiner Fahrt nicht so geschickt an und auch ich gerate schnell in den Tiefschnee. Emma lacht mich natürlich ordentlich aus.
Nachdem alle Teilnehmer zwei Fahrten mit dem Schlitten unternommen haben, gehen wir zu den Huskys, um ihnen das Zuggeschirr anzuziehen. Die Hunde merken sofort, dass es jetzt endlich los geht und sind schon ganz aufgeregt. Und Emma hat immer noch keine Angst. Sie schnappt sich ein Geschirr und zusammen mit Claudia wird Skalli eingebunden. Vier Hunde werden vor den Schlitten gespannt und Werner erklärt uns, wie die Kommandos für die Hunde zu geben sind.
Wichtig ist auch immer die Notbremse, eine Art Anker, die man in den Schnee wirft, wenn die Hunde durchgehen sollten. Sieht ganz einfach aus – aber ob ich das im Eifer des Gefechtes hinbringen würde? Werner gibt Entwarnung: die Hunde kennen den Weg und wissen, wo es was zum Fressen gibt. Sehr beruhigend!
Eigentlich dachte ich, dass Emma mit ihren neun Jahren zusammen mit Werner auf einem Schlitten befindet. Meine Verwunderung muss ich wohl an dieser Stelle nicht noch einmal betonen. Emma steht mit ihrem eigenen Schlitten am Start. Ob das gut geht? Werner scheint überzeugt und gibt ihr noch ein paar letzte Tipps.
„Husky go!“ höre ich Emma lauthals rufen und die Hunde starten durch.
Der Kurs führt über mehrere Kurven in ein kleines Wäldchen. Auf einer Ebene dahinter wird gewendet und es geht zurück zum Lager. Alles in allem etwa 600 Meter. Emma lenkt den Schlitten und die Hunde durch die Kurven, wie wenn sie seit neun Jahren nichts anderes tun würde. Meister können also doch vom Himmel fallen!
Ich bin beeindruckt. Ob das bei mir auch so elegant und leicht aussehen wird? Jeder Teilnehmer darf nun die eine oder andere Runde mit den Hunden fahren und alle haben dieses stolze Grinsen im Gesicht - wirklich kein alltägliches Erlebnis!
Als alle ihre Runden gezogen haben wird Emma noch einmal munter und fragt Werner, ob sie noch ein wenig mit den Huskys fahren darf. Sie lenkt das Gespann noch drei Mal durch den Parcours. Als sie das letzte Mal an mir vorbei schießt und ich ein Foto mache ruft sie mir mit breitem Grinsen im Gesicht zu:
„Papa, Alaska ist nur halb so cool!“
Text und Bilder: Elmar Müller