Versuch’s doch mal mit Gleitschirmfliegen, haben sie gesagt. Das wird ein großer Spaß, haben sie gesagt. Der Tipp zum Fliegen mit einem Gleitsegel kam von meiner Schwester. Ich? Gleitschirmfliegen? Gut, an sich klingt das tatsächlich aufregend. Wenn da nicht meine Höhenangst wäre. Mein Mann war natürlich sofort Feuer und Flamme für das „Luftige Abenteuer“, wie er es nannte. Ich konzentrierte mich währenddessen darauf nicht an den Super-GAU denken zu müssen und freute mich erst mal auf unseren gemeinsamen Skiurlaub.
Nach den ersten beiden Tagen auf der Piste schafft er es aber tatsächlich, mich zu überreden wenigstens bei den Gleitschirm-Starts zuzuschauen. Was soll ich sagen? Es war wirklich beeindruckend! Keine drei Starts später stehen wir schon bei der Anmeldung für den ersten Flug am nächsten Morgen.
Um kurz nach 09.00 Uhr fahren mein Mann und ich dann mit der Nebelhornbahn rauf zur Gipfelstation auf 2.220 Meter. Hier treffen wir Rainer Scheltdorf. Er ist einer der Inhaber des Tandemflug-Unternehmens vogelfrei und heute einer unserer Profipiloten. Wie wir feststellen, sind wir nicht die einzigen, die an diesem Vormittag starten wollen. Auch Rainers Kollegen Andrea, Tobi und Sebi sind schon früh am Berg und begrüßen uns mit Handschlag und guter Laune. Definitiv Frühaufsteher! Die Lässigkeit der vier Piloten erinnert mich sehr an einen Surfurlaub - nur heute eben in der Luft.
Nach einer kurzen Begrüßung wird uns sofort das „Du“ angeboten, ein wenig zusammen gelacht und die erste Nervosität ist schnell verschwunden. Mein Mann fliegt mit Andrea. Das hilft beim Ausgleich des Startgewichts. Ich werde mit Rainer, den hier alle nur "Schelli" nennen, in den Kampf gegen meine Höhenangst ziehen. Nur noch 45 Minuten bis zum Start. Okay, das mit der Nervosität nehme ich zurück. Bei mir geht’s jetzt erst los!
Im Anschluss an das erste Kennenlernen trudelt schon das zweite Pärchen für den heutigen Vormittag ein und wir versammeln uns für die Einführung ins Tandemfliegen. Feste Stiefel, Handschuhe und warme Kleidung waren Voraussetzung für die Reise durch die Luft. Das Einzige, was wir nicht mitnehmen mussten, ist der Helm und Overall. Aufsetzen, zuschnallen und schon sind wir (fast) bereit für den Start. Anschließend helfen uns die Piloten in unser Gurtzeug und Schelli weist uns noch in die vier wichtigen Kommandos ein:
Mitfliegen kann eigentlich jeder. Die einzige Bedingung ist eine „normale körperliche Verfassung“ und der Passagier muss 10 Schritte auf gerader Fläche laufen können. Es folgt der besprochene Probelauf am Startplatz. Immer mehr Zuschauer versammeln sich oben auf der Terrasse der Gipfelstation und warten auf den ersten Start des Tages. Dann geht alles ganz schnell. Das zuvor gelernte Startkommando ertönt in meinem Kopf. Wir laufen los.
3 - „alles klar, du schaffst das!“
2 - „Hallelujah, du schaffst das nie!“
1 - „Augen zu!“
START!
Schelli lacht. Ich schreie. Wir fliegen!
Zuerst geht’s parallel zur Lifttrasse in Richtung Oberstdorf. Nachdem ich meine Augen wieder geöffnet habe, bin ich schwer beeindruckt von dieser einmaligen Winterlandschaft. Während meines „Luftigen Abenteuers“ gibt mir Schelli laufend ein Update, wo wir uns gerade befinden, was unter uns ist und er erzählt mir auch ein, zwei Dinge über die „vogelfrei“-Crew.
Insgesamt, sagt er, zählt das Unternehmen 7 hauptberufliche Piloten. In der Hauptsaison von Mai bis Oktober kommen dann noch drei hinzu. „Wo verstecken die sich sonst so?“, frage ich nach. Schelli lacht und schildert: „Das sind richtige Freivögel. Der eine fliegt im Winter in Nepal und der andere ist über die kalten Monate in südlichen Gegenden unterwegs.“ Mir wird klar, dass das Fliegen hier mehr ist als nur ein Beruf – das ist echtes Leben. Und langsam komme ich auf den Geschmack!
Was mich dort oben, abgesehen von der Höhe, wirklich beeindruckt, ist das lautlose Gleiten durch die klare und ruhige Luft. Die Aussicht auf märchenhaft bedeckte Schneeberge, das majestätische Nebelhorn und glitzernd zugefrorene Seen. Gut, dass wir den Foto-Flug gebucht haben, denke ich, sonst glaubt mir das sowieso keiner.
Vorbei am großen und kleinen Gund fliegen wir als nächstes eng an den Felswänden des Gaisfuß entlang. Beeindruckend! Hab ich das schon erwähnt? Einfach Beeindruckend! Mein Pilot Rainer erzählt mir mehr über Thermik - die Luftströmung, welche uns am Himmel hält. Der Winter eignet sich perfekt für ruhige Flüge. Beste Fernsicht und ruhigere Flugbedingungen geben dem Tandemfliegen im Winter seinen besonderen Reiz. „Die kalte Luft wäscht dir dazu auch noch richtig den Kopf“, sagt mir Schelli. Klingt fast wie ein Versprechen.
Mein Mann und Andrea fliegen knapp hinter uns und winken uns zu. Wir wurden beide definitiv nicht enttäuscht. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl dort oben neben den Wolken. Doch so schön es sich anfühlt, jeder Flug geht einmal zu Ende. Nach knapp 35 Minuten ist es leider schon vorbei und wir setzen zur Landung an. Alle Flüge enden auf dem Landeplatz Oybele, ca. zwei Gehminuten von der Talstation der Nebelhornbahn entfernt. Die Gleitschirme sinken langsam nach unten und wir landen sanft auf unseren Füßen.
Bilder: vogelfrei Tandemfliegen mit Profis OHG