Müde aber glücklich sitzen wir im Familienrat zusammen und überlegen, was wir am nächsten Tag machen könnten. Meine Kinder spitzen die Ohren „Papa, die da drüben sprechen von Eis – ich hätte auch lieber ein Eis, statt Kuchen!“, fordert mein Sohn.
Im tiefsten Winter bei minus 12 °C ein Eis? Ich schüttele nur den Kopf. Das ältere Pärchen am Nachbartisch schenkt uns ein Lächeln und klärt uns auf: „Minus 12 °C sind perfekt für gutes Eis.“ Warum mischen sich fremde Leute in unsere Erziehung ein, denke ich noch, bevor die Auflösung folgt. „Kein Eis zum Essen!“ Die beiden reden vom Eis in der Breitachklamm. Die dort herrschenden Temperaturen erschaffen eine ganz neue Winterlandschaft.
Die Breitachklamm ist eine der imposantesten Felsschluchten Mitteleuropas und gerade jetzt, bei diesen Temperaturen formen sich vom herunterlaufenden und gefrierenden Wasser bizarre Eisgebilde, riesige Eiszapfen, und Höhlen aus Eis. Wenn zusätzlich noch das Sonnenlicht durch die Baumwipfel spitzelt gibt es tief in der Klamm eine Stimmung, die nicht zu beschreiben ist.
Das Pärchen neben uns schwärmt so energisch von der Klamm, dass auch wir kurzer Hand für den nächsten Tag einen Ausflug planen. Mit unserer Gästekarte können wir bequem und kostenfrei den Walserbus bis zur Landesgrenze, der Walserschanz, nutzen. Von da aus geht es auf einem gut präparierten und gestreuten Weg langsam aber sicher bergab Richtung Breitach und zum oberen Eingang der Klamm. Wir kaufen jeweils ein Ticket und die Dame an der Kasse steht für die Fragen unserer Kinder Rede und Antwort. Gleich nach dem Kassenhäuschen geht es dann los.
Und was wir dann erleben ist fast unbeschreiblich – unbeschreiblich schön!
Ist man im Sommer von einer Klamm gewohnt, dass sich tosende Wassermassen, laut rauschend durch enge Felsen pressen, ist hier und jetzt alles still – das ganze Wasser ist zu einer bizarren, verzauberten und glitzernden Winterwelt erstarrt. Die Kälte hat das Wasser, das von den Seiten in die Klamm rinnt, in riesige Eisteppiche verwandelt. Auch wir werden ganz ruhig und genießen die Magie dieses faszinierenden Ortes. Auf dem sicheren Weg, teilweise über gut abgesicherte Stege, die in die steile Felswand gebaut wurden, laufen wir hinter den mächtigen Eisvorhängen hindurch. Die Augen unserer Tochter funkeln:
„Papa, Mama, hier muss es doch irgendwo eine Eisprinzessin und Schnee-Elfen geben.“
Wir geben ihr Recht, vertrösten sie aber darauf, dass die Prinzessinnen und Könige wahrscheinlich erst bei Nacht, wenn die Menschen wieder gegangen sind, aus ihren Eishöhlen kommen und Feste feiern.
Langsam wird die Schlucht etwas breiter und der Weg geht vom Ufer der Breitach bis hin zum unteren Eingang der Klamm in Tiefenbach. Hier gibt uns eine interaktive Ausstellung genaue Informationen zur Entstehung und Erschließung der Breitachklamm. Wir sind tief beeindruckt vom Pioniergeist jenes jungen Priesters Johannes Schiebel.
Vor mehr als einhundert Jahren hatte er die wilde Schönheit erkannt und mit der Erschließung der Klamm eine Einnahmequelle für die bettelarme Bevölkerung geschaffen. Mit Dynamit, Schwarzpulver, Bohrern, Pickeln und Schaufeln arbeiteten 20 Mann ein knappes Jahr an diesem kühnen Unterfangen. Man erzählt, dass der Sprengmeister am langen Seil in die Schlucht gelassen wurde, wo er die Lunte entzündete und eiligst wieder herauf gezogen wurde, sodass ihn das Gestein nicht erschlug. Pfarrer Schiebel hatte einen „guten Draht“ zum Herrn, denn während der Arbeiten war nicht ein einziger Unfall zu beklagen.
Kurz bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen, sehe ich wieder dieses Funkeln in den Augen meiner Kinder. „Was ist los?“ frage ich sie. „Papa schau’ mal, übermorgen Abend ist eine geführte Fackelwanderung durch die Klamm – da gehen wir hin und dann treffen wir bestimmt die Eisprinzessin!“
Geöffnet: Mitte Dezember bis zur Schneeschmelze von 9.00 - 16.00 Uhr,
Programme: Fackelwanderungen am Dienstag und Freitag ab Tiefenbach Bergschau mit interaktiver Ausstellung „zum Anfassen“, Filmvorführungen, Gruppenführungen
Info: +49 8322 4887
Text: Elmar Müller
Bilder: Kleinwalsertal Tourismus eGen